Mitten in LEGO City steht eine alte Villa, bei der immer wieder von Spukerscheinungen berichtet wird: Diesem Rätsel gehe ich auf den Grund.
Um LEGO City ranken sich viele Geschichten. Inmitten der blühenden Stadt finden sich versteckte Orte, an denen Seltsames vorgeht. Manche sprechen von Geistern. Wieder andere von Außerirdischen. Die Wahrheit kennt keiner.
Alles begann damit, dass vor einigen Jahren ein englischer Lord im besten Mannesalter eine Villa in LEGO City gekauft hat. Er ließ sich von seinem weiße Handschuhe tragenden Chauffeur in einem wunderschönen Oldtimer aus den goldenen Zwanzigerjahren in die Stadt fahren, ließ seinen Butler James einen Passanten nach dem Weg zum Rathaus fragen (er selbst konnte nicht fragen, das hätte sich schwerlich geschickt) und kam an einem strahlenden Sommertag dort an.
James öffnete seinem Herrn die Tür, dieser erhob sich, stieg aus und ging zur Rathaustür. Sein Butler klopfte, ein Sekretär rief mit fistelnder Stimme: „Herein!“, und Seine Lordschaft trat ein, gefolgt von James.
„Wisset Ihr ein Anwesen hier in der Nähe, in dem ich künftig residieren kann?“, fragte der Lord den Bürgermeister alsdann in dessen Büro. Dieser, über den angeschlagenen Ton verwundert, fragte seinen edlen Besucher, wer er denn sei, und erhielt die gewünschte Auskunft. Ein Lord, sogar aus England! Womöglich mit einer Jahresrente von mehreren Millionen Pfund! Ja, dann war es verständlich, dass er ein Anwesen wünschte. Willfährig zeigte der Bürgermeister Bilder der schönsten Gebäude von LEGO City.
„Ist Euer Hochwohlgeboren eines dieser Anwesen genehm?“
„Je nun, sie sind alle ein wenig… klein. Habt Ihr hier nichts Größeres? Im Übrigen genügt es, wenn Ihr mich mit Lord anredet.“
Der Bürgermeister stutzte. Dem edlen Lord waren die Paläste noch immer zu klein? Sie maßen doch schon vierundzwanzig mal zweiunddreißig Noppen! Größere Gebäude gab es doch in der Stadt gar nicht! So war er gezwungen, dem Lord mitzuteilen, dass größere Gebäude hier nicht existierten. Er müsste sich schon auf dem Land ein Grundstück kaufen und dort sein Anwesen errichten. Da fiel ihm ein, dass es doch noch ein Haus gebe. Eine seit langem leerstehende Villa, die im Gegensatz zu den anderen Häusern über keinen Garten verfügte. Diese schlug er nun vor. Der Lord besah sich das Bild und meinte: „Diese ist es. Davon habe ich schon immer geträumt. Diese wunderschönen Türme erinnern mich an den Stammsitz meiner Familie im alten England. Und einen Garten benötige ich auch nicht. Ihr habt ja gesagt, der Stadtpark sei ganz in der Nähe und ich bin mir nicht zu schade, mich zusammen mit dem gemeinen Volk zu ergehen und zu lustwandeln.“
„Da wäre nur noch ein einziges Problem“, sagte der Bürgermeister. „Ein Anwesen hat nun einmal seinen Wert…“, umschrieb er es.
„Ich verstehe schon. Geld spielt für mich keine Rolle“, erwiderte der Lord. Der Kaufvertrag wurde aufgesetzt und so wechselte die Villa ihren Besitzer. Wie viel sich der Lord das hat kosten lassen, verschwieg er.
Noch am selben Tag ließ er sich zu der Villa fahren und nahm sein neues Besitztum in Augenschein. Derweil ging James auf dessen Geheiß zum größten Zeitungsverlag der Stadt, um eine Annonce aufzugeben, Seine Lordschaft suche eine fleißige Reinigungskraft, um seine neu erworbene Villa wieder bewohnbar zu machen. Am Pressehaus angekommen, wurde ihm mitgeteilt, sein Herr könne sich das Geld sparen, es gebe genug Anzeigen, die umgekehrt nach einer Stelle als Reinigungskraft suchten. So kaufte des edlen Lord Butler lediglich ein Exemplar der Tageszeitung, überbrachte sie seinem Herrn und dieser traf seine Auswahl.
Zwei Tage später war es soweit: Die eingestellte Dame hatte kaum Glaubliches geleistet und ganze Decken von Spinngewebe entfernt. Sein Chauffeur fuhr den Lord von dem Hotel, in dem er eine Suite genommen hatte, zur Villa. Es war gerade fünf Uhr, der Lord setzte sich in seinen Fauteuil und hieß James, ihm den Tee und die Zeitung zu bringen. Sein Butler wagte es, einzuwenden, dass er selbst ja gerade erst angekommen sei und noch keine Zeit gehabt habe, die Küche in Betrieb zu nehmen.
„Egal“, erwiderte der Lord. „Von meinem Personal erwarte ich, jederzeit bereit zu sein, die Wünsche seines Herrn zu erfüllen. Also lauf los und hol Tee von dem Restaurant dort an der Ecke. Auch die werden ja wohl wissen, wie man Tee bereitet.“
James tat, wie ihm geheißen, und kam Minuten später mit einem papierdünnen Kunststoffbecher zurück, in dem klarer Tee dampfte.
Seine Lordschaft war erfreut über die nur geringe Verzögerung, kostete, und spie das Getränk in hohem Bogen aus. „Was um alles in der Welt ist das?“, schrie er erbost. „Doch nie und nimmer echter englischer Tee! Oder wird er in England aufgegossen und hier nur noch einmal kurz in der Mikrowelle aufgewärmt? James, wenn das ein Witz sein soll, dann sag es jetzt!“
Dieser erschrak, hatte er seinen Herrn doch schon lange nicht mehr so wütend gesehen. Das letzte Mal war noch im alten England gewesen, als Seine Lordschaft beim Golfspiel auch den letzten Ball auf Nimmerwiedersehen im Teich versenkt hatte. So blieb ihm nun nichts Anderes übrig, als den Herd in Gang zu setzen und seinem Herrn doch noch selbst Tee zu kochen, während dieser im Badezimmer den Geschmack des Tees durch Gurgeln zu entfernen suchte.
Wiederum eine halbe Stunde später, es schlug gerade sechs Uhr, bekam er endlich im Salon seinen Tee serviert, warf einen Blick in die Zeitung – die Old England Times – und zündete sich seine Pfeife an. Gedankenverloren blies er langsam aufsteigende Rauchkringel in die Luft. Fast fühlte er sich in seine gute alte Heimat zurückversetzt. Da polterte es über seinem Kopf. „James, sieh einmal nach, was das war. In diesem alten Gemäuer können sich gut Katzen eingerichtet haben.“
James ging also nach oben, blickte sich um, sah in Esszimmer, Küche, Musikzimmer, Bad und Schlafzimmer, blickte sogar unter das Bett, doch konnte nichts finden. Verwundert ging er seinem Herrn Bericht erstatten, und bald war alles vergessen.
Nach einem sehr spärlichen Abendmahl – der Butler hatte noch keine Zeit gefunden, einzukaufen – legte sich der Lord in dem großen Bett mit Holzvertäfelung schlafen und träumte von hundert gewonnen Golfturnieren. Zur Belohnung gab es delikaten Tee in feinstem Porzellan.
In der Nacht zog ein schweres Gewitter auf. Es krachte und donnerte. Dann fiel der Strom aus und das Nachttischlämpchen neben dem Lord erlosch. Nur dann und wann erhellte ein Blitz für den Bruchteil einer Sekunde die finstere Villa. Im Kamin rumorte es und ein aufmerksamer Beobachter hätte einen Schatten sehen können, der sich aus der Öffnung des Kamins hervorquetschte.
Die Gestalt richtete sich auf und blickte auf den schlafenden Lord. Wie friedlich er daliegt, dachte sie und schlich vorsichtig am Bett vorbei. Leise öffnete der Schatten die Tür zum Flur, kroch hinaus und schloss sie wieder. Auf Samtpfoten stieg die Erscheinung die Treppe hinab, bemüht, den dort in unbequemer Stellung auf dem Sofa ausgestreckten Butler nicht zu wecken. Ein paar Schritte noch, und der Schatten war sicher. Da erhellte ein greller Blitz das ganze Zimmer und im selben Augenblick ertönte ein furchtbares Krachen. Der Blitz hatte ganz in der Nähe eingeschlagen. Die Gestalt drückte sich augenblicklich an den alten Bauernschrank und sofort war alles wieder dunkel. Glück gehabt, dachte sie. Da bewegte sich was auf dem Sofa. Der Butler war aufgewacht und blickte umher. Er vermeinte, ein leises Atmen zu hören, das nicht von ihm stammte. Doch so sehr er sich bemühte, das Dunkel zu durchdringen, er konnte nichts erkennen. Bald fielen ihm die schweren Lider wieder zu. Es blitzte erneut, er schrak auf, und sah, bevor es wieder stockfinster wurde, eine Gestalt schemenhaft vor sich. Sofort wurde es wieder stockfinster. „Habe ich mir das eingebildet?“, fragte er sich, vergaß den Vorfall aber schnell und fiel wieder in tiefen Schlaf. Das Gewitter hatte sich ausgetobt und der Schatten ward nicht mehr gesehen.
Am nächsten Morgen bereitete er seinem Herrn das echt englische Frühstück. Dieser befahl ihm, anschließend die Umgebung der Stadt nach einer Wiese abzusuchen, auf der der Lord in Zukunft würde Golf spielen können. Der Chauffeur fuhr vor – da die Villa über keine Remise verfügte, war er gezwungen gewesen, die ganze Nacht über auf einem öffentlichen Parkplatz zu stehen, bis Seine Lordschaft geruhte, eine Garage zu mieten – und fuhr mit dem Butler fort. Derweil setzte sich der Lord vor den gigantischen Fernseher und sah der aktuell stattfindenden Kricketmeisterschaft zu.
Wiederum am Abend des geruhsam verlaufenen Tages – James hat diesmal selbst Tee gekocht – legte sich der Lord zur Ruhe und gab damit seinem Butler das Signal, seinerseits schlafen gehen zu dürfen. Hell schien der Mond durch die Turmfenster in den Salon. Da knackte es. Unwillig blickte der Butler auf und glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Da klappte doch der Fernseher, auf dem sein Herr noch an diesem Tage Kricket geschaut hatte, auf, und heraus stieg eine dunkelgrau gekleidete Gestalt!
Diese blickte ihn an, sah, dass er wach war, und rannte die Treppe hinauf, durch den Wintergarten und in des Lords Schlafzimmer. Dieser schlief tief und fest. Dennoch auf alle Vorsicht bedacht, umging der Schatten – ein solcher war die Gestalt jetzt wieder, denn hier schien der Mond nicht herein – das Bett, und machte sich an dem Kerzenleuchter am Bücherregal zu schaffen. Quietschend drehte sich ein Teil der Bücherwand nach hinten und ein kleiner Durchgang ward frei. Vor den Mond hatten sich Wolken geschoben, sodass kein Lichtstrahl den Lord wecken konnte. Die Gestalt trat in den Raum hinter dem Regal und blickte auf ein dort offenliegendes Manuskript aus längst vergangenen Zeiten. Sie blickte auf das Blatt und las.
„Was sollen diese Zeilen bedeuten? Seit Jahren durchsuche ich das Haus und finde doch nicht den Schlüssel dazu. Ich hoffe doch sehr, dass der Lord die Villa nicht gekauft hat, weil er um das Geheimnis weiß oder doch davon ahnt. Aber nein, den interessieren nur Tee, Golf und Kricket, das habe ich von meinem Versteck im Schrank bereits erfahren. Bleibt mir nur zu hoffen, dass sein Butler, wie heißt er noch, James, dass James also nicht beim Abstauben über diese Geheimtür hier stolpert. Es ist schon fast ein Wunder, dass ich die Reinigungskraft als Gespenst verkleidet verscheuchen konnte – auch wenn es ein Kreuz war, selbst hier alles sauber zu machen. Mit dem Lord werde ich nicht so leichtes Spiel haben…“ Mit diesen Gedanken trug sich die Gestalt, während sie die Geheimtür schloss und wieder einmal zum Bett des Lords ging. Vorsichtig hob sie das Bett an. Ein in der Wand verborgener Mechanismus, einem Flaschenzug ähnlich, erleichterte ihr die dennoch mühevolle Arbeit. Schließlich war das Bett nach oben geschoben, die Gestalt ging zum Kamin und zog diesen ein Stück zu sich.
Dann kroch sie durch die Öffnung und überlegte, was wohl wäre, wenn es dem Lord einfiele, über Nacht hier ein Feuer brennen zu lassen, was im Winter gut möglich wäre. Doch noch konnte sie bequem hindurchkriechen und die dahinter verborgene Leiter erklimmen. Sie gelangte auf den längst vergessenen Dachboden, auf dem sich Spinnen und anderes Getier häuslich eingerichtet hatten. Bald darauf kletterte die Gestalt wieder die Leiter herunter, in der Hand eine alte Stalllaterne haltend. Vorsichtig schob sie Kamin und Bett in die Ausgangsstellung, vergewisserte sich davon, dass der Lord noch ruhig schlafe, und verließ den Raum. Im Erdgeschoss öffnete sie die Türen des Wandschrankes und stieg in diesen hinein.
Der Morgen graute. Seine Lordschaft hatte vorzüglich geschlafen und ließ sich sein vom eilends aufgestandenen Butler serviertes Frühstück schmecken. Da dieser am Vortag keine geeignete Fläche für einen Golfplatz gefunden hatte, ging der Lord selbst auf die Suche, das heißt, er ließ sich erneut zum Bürgermeister chauffieren, um diesen nach einer solchen Wiese zu fragen. Derweil nutzte James die Zeit, die Villa ein wenig besser kennenzulernen. Er sah in Schränke und Schubladen, öffnete Türen und Fenster, und fragte sich immer wieder, wie es denn sein könne, dass die Villa von außen so groß aussehe, von innen aber so klein sei. Darüber nachsinnend öffnete er die Tür des Bauernschrankes. Er hatte seine Suche oben begonnen und war nun unten angelangt. Doch was erschrak er, als eine in ein weißes Laken gehüllte Gestalt aus dem Schrank sprang und furchterregende Laute machte! Zudem leuchtete sie ganz eigenartig!
Zu Tode erschreckt rannte der Butler aus der Villa, während die Gestalt kicherte, den Schrank schloss und nach oben ging, um sich auf dem Dachboden über dem Kamin zu verstecken. Und wirklich kam bald der Lord zurück, der, freudig, doch noch ein vorzüglich geeignetes Terrain gefunden zu haben, seinem Butler, dem er auf dem Rückweg begegnet war, kein Wort glauben konnte. Dieser brabbelte etwas von einem glühenden Geist, der ihn angesprungen und mit seinem feurigen Atem die Luft genommen habe. Der Lord glaubte nichts weiter, als dass James im Fernsehen einen Film gesehen habe, den er nicht verkraftete. Phlegmatisch hörte er daher zu, betrat mit ihm die Villa – und fand nichts. Im Übrigen suchte er auch nicht sonderlich aufmerksam, verlangte stattdessen, seinen Imbiss im Speisezimmer einnehmen zu können.
Nach dem Mahl ging er in den Salon, setzte sich in seinen Fauteuil und schaltete den Fernseher ein – im guten, alten England fanden die Qualifikationen des Golfturniers statt. Entspannt rauchte er seine Pfeife, während James oben damit beschäftigt war, seines Herrn Jackett zu reinigen. Gedankenverloren pfiff er ein Lied vor sich hin, des gerade erst ausgestandenen Schreckens nicht mehr gedenkend. Da zuckte er zusammen. Neben ihm knackte es erst einige Male, dann prasselte plötzlich das lustigste Feuer im Kamin! Oder nein, er sah genauer hin, es leuchtete nur, aber es entstand kein Rauch! Da hörte er ein furchterregendes – Lachen. Es schien von überallher zu kommen, und umso länger es andauerte, desto gespenstischer wurde es.
Dem Butler wurde es zu viel. Entsetzt rannte er nach unten in den Salon, schrie etwas von Geistern und Leuchten – sein Herr hörte gar nicht hin, denn soeben wurde ein neuer Platzrekord im Fernsehen aufgestellt – und rannte panisch zur Türe hinaus. Erst als der Lord nach seinem Tee verlangte, wurde er gewahr, dass sein loyaler Butler verschwunden war. Er kehrte niemals zurück in dieses verfluchte Haus. Noch zwei, dachte die Gestalt auf dem Dachboden.
Derweil hatte der Lord seinen Chauffeur zum Butler befördert. Da er gewohnt war, nach James zu rufen, wenn er etwas benötigte, musste der Chauffeur nun eben mit diesem Namen vorliebnehmen. Nur, wenn er ihn fahren sollte, behielt er seinen alten Namen. Niemals hätte der Lord etwas an seinen Gewohnheiten geändert.
Mittlerweile war wieder Nacht geworden. Der Lord ging schlafen, während „James“ noch etwas fernsehen wollte. Doch kaum hatte er das Gerät eingeschaltet, als es auch wieder ausging und stattdessen ein glimmendes Leuchten die Kontur des Bildschirms betonte. Erst strahlte es ganz gleichmäßig, dann begann es zu flackern, und schließlich gesellte sich noch ein unheimliches Heulen hinzu, gefolgt von einem markerschütternden Lachen.
Den Chauffeur graute es, und er ging hoch, um in der Küche zu schlafen. In der Nähe des Lords, den er durch die transparenten Fenster sehen konnte, fühlte er sich sicher. Doch auch hier sollte er keine Ruhe haben. Plötzlich stand eine Gestalt vor ihm, leuchtend, in einem weißen, wallenden Gewand. Sie schien direkt aus dem Boden vor ihm gewachsen zu sein. Doch sie heulte nicht etwa, sie bewegte sich überhaupt nicht, sondern stand nur vor ihm, den Raum in ein ungewisses Licht setzend.
Kalte Schauer rieselten dem Chauffeur den Nacken hinunter. Er sprang auf, doch konnte nicht fliehen. Die Gestalt stand im Weg, und an ihr vorbeizugehen traute er sich nicht. Als hätte die Gestalt seine Gedanken gelesen, ging sie einige Schritte zurück an den Esstisch, begann zu flackern, lachte schrecklich, und um die Nerven des Chauffeurs war es geschehen. Er schrie auf und rannte davon, als gälte es sein Leben. Die Gestalt freute sich. „Noch einer!“. Doch jetzt bewegte sich der Lord. Hatte er etwas gehört? Schnell versteckte sich die Gestalt im Musikzimmer. Als auch nach Minuten noch nichts passiert war, ging sie beruhigt nach unten und versteckte sich wieder im Keller unter dem Schrank.
Dort legte sie sich hin und sann nach. „Ich hätte doch nie damit anfangen dürfen, hier alle fortzujagen. Was ist, wenn ich die letzten Jahre meines Lebens, als die Villa noch leerstand, damit verbrächt hätte, wie viele andere Schatzsucher auch schon, einem Gerücht hinterherzurennen, das einem Phantome gleich nicht zu fassen ist, ja was, wenn das Manuskript nichts weiter als ein Roman aus vergangenen Zeiten ist? Doch nein, das kann nicht sein. Oder doch?“, zweifelte die Gestalt, die im hellen Licht des Kellers als – Dieb zu erkennen war. „Moment!“, sprach dieser weiter. „Der jetzige Besitzer der Villa ist doch ein Lord! Also ein englischer Adliger! Und er muss sehr reich sein, sonst hätte er sie sich nicht kaufen können! Also wird er auch noch Gold haben, das er wohl irgendwo hier versteckt hat. Das werde ich jetzt suchen. Nebenbei kann ich ja noch Ausschau halten, ob ich nicht doch noch den Schlüssel zu dem Manuskript finde.“
Sprach’s, und stand sofort wieder auf, ging nach oben, und begann im Schutze der Nacht die Schränke und Schubladen zu durchsuchen, bis der Morgen graute. Nichts hatte er gefunden. Kein Gold. Kein Geld. Keine Juwelen. Doch noch ließ sich der Dieb nicht entmutigen.
Der Lord erhob sich und rief nach James. Niemand antwortete. Er rief ein weiteres Mal. Nichts. Wie denn auch, dachte sich der Dieb. Mea culpa. Wenn ich will, dass der Lord hier noch länger wohnt, damit ich ihm sein Gold stehlen kann, sollte ich als Butler in seine Dienste treten, dann kann ich ganz ungehindert suchen. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?
So ging er denn zum Lord, bat diesen, nicht zu erschrecken – eine völlig überflüssige Maßnahme, nichts bringt einen alten englischen Adligen aus der Ruhe (höchstens eine schöne Wette) – erklärte ihm, James und „James“ hätten den Dienst quittiert und er sei nun hier, um in des Lords Dienste zu treten. So kam es also, dass der Dieb – quasi James III. – für den Lord arbeitete und heimlich nach dessen Wertsachen suchte. Niemals fand er etwas, weder Gold, noch den Schlüssel zum Geheimnis, er wurde es aber auch nicht müde, weiterzusuchen. Hätte er gewusst, dass der Lord sein letztes Hemd dafür gegeben hat, die Villa zu kaufen, und schon seit langem verarmt war, ja hätte er weniger auf der Suche begriffen bemerkt, dass er auch nie seinen Lohn bekam, hätte er seine Zeit gewiss sinnvoller verwandt…
Mit jenem Tage, an dem der Dieb in die Dienste des Lords getreten war, hörten auch die nächtlichen Erscheinungen auf. Von nun an hieß es, der Lord habe mit seinem fehlenden Glauben an Gespenster diese verjagt. Jahre später fiel dem Dieb auf, dass er in all der Zeit keinen Lohn empfangen habe, fragte seinen Herrn danach und erfuhr so von dessen Unglück. Da stieg ihm der Gedanke auf, dem Lord die Geheimgänge zu zeigen und ihm anzubieten, Touristen durch die Räumlichkeiten der Villa zu führen. So hätte er wieder ansehnliche Einnahmen. Der Lord ging mit Freuden darauf ein und die Villa zog Neugierige von Nah und Fern an. Vor lauter Glück über die neue Einnahmequelle sah der Lord nicht, dass der Dieb ihm den Großteil der Einnahmen stahl. War es nicht seine Idee gewesen? Hatte er als Dieb nicht geradezu die Pflicht, so zu handeln? Erst nach langer Zeit fragte sich der Lord, als er Rennpferde kaufen wollte, warum er denn trotz allem nur recht wenig Geld zur Verfügung hatte. Das Phantom der alten Villa hatte wieder zugeschlagen.
Hinweis: Dieses Projekt findet sich bei LEGO Ideas.
Wenn euch dieser Ausflug in die Geschichte der alten Villa gefallen hat und ihr gern noch mehr über sie erfahren möchtet, dann seht euch folgendes Video an. Was haltet ihr von meinem Modell? Und findet ihr, LEGO sollte trotz Geisterhaus und Hidden Side verstärkt auf das Spuk-Thema setzen? Äußert euch gerne in den Kommentaren.
29. August 2020 um 9:34
Sehr hübsch. Mit welchem „Tool“ entwirft man diese Art Videos?
29. August 2020 um 13:58
Danke! Ich habe dafür die LEGO-CAD-Software Studio (von Bricklink) und die 3D-Animationssoftware Blender genutzt; 3ds Max und dergleichen funktionieren aber sicher auch. Dazu geht in den nächsten Tagen auch noch ein Artikel online.
29. August 2020 um 10:36
Toll, ich bin immer begeistert, wenn jemand selbst etwas entwirft. Mehr zum Thema Geister wurde ich persönlich nicht benötigen, ich habe etliche HiddenSide Sets, diese aber alle „entgeistert“.
29. August 2020 um 10:44
Großartig! Bitte mehr davon!
29. August 2020 um 20:41
Vielen Dank für die stimmungsvolle Vorstellung, Simon! Mir gefällt dein Modular – eine schön verspielte Fassade. 🙂
30. August 2020 um 13:32
Die Geschichte gefällt mir richtig gut. Das ist mal eine ganz andere Art, Lego zu präsentieren. Gern noch mehr davon. Mir gefällt dein Schreibstil, Simon.
Das Haus mag ich auch. Die Idee mit den Geheimgängen, die der Lord nicht kennt, ist genial. Leider kann man auf den Bildern nicht alles richtig erkennen, aber es ist trotzdem gelungen. Ich drücke Dir die Daumen für Lego Ideas!